Von den Anfängen bis zur Jahrhundertwende
Stadtarchiv Karl-Marx-Stadt 1988
von May und Jochen Voigt
Vorwort von 1988
Erfreulicherweise ist der historischen Fotografie in den letzten Jahren in der DDR verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt worden. Die Erschließung fotografischer Bestände bildet inzwischen einen i festen Bestandteil der Rezeption des kulturellen Erbes unseres Landes. Der Fachliteratur, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg erschien, sind vor allem seit dem Ende der siebziger Jahre eine Reihe neuer Publikationen zur Seite gestellt worden. Die Palette reicht i von der schmalen Broschüre bis zum gewichtigen Bildband, wobei « einzelbiographisch aufbereitetes Material bzw. allgemeine Fotografie geschichtliche Darstellungen überwiegen. Der Entwicklungsweg des Mediums Fotografie innerhalb einer einzelnen Stadt wurde in der bisherigen Fotoliteratur der DDR dagegen kaum detailliert untersucht.
So möchte die vorliegende Arbeit einen Teil der Recherchen der Autoren um die Frühzeit der Fotografie im spätbiedermeierlichen Chemnitz bis hin zur Bewegung der künstlerischen Fotografie und dem Aufkommen des Films um die Jahrhundertwende einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen und damit eine bisher bestehende Lücke in der Lokalgeschichtsforschung schließen. Manches wird verständlicherweise auch weiterhin im dunklen bleiben, und vieles konnte aus Platzgründen nicht berücksichtigt werden.
Chemnitz als Industriestadt, auf Grund ihrer expandierenden Textilindustrie, des Maschinenbaues und der daraus resultierenden zahllosen Fabrikschornsteine lange Zeit „Sächsisches Manchester“ oder „Rußchemnitz“ genannt, kann sich freilich in kultureller Sicht nicht mit den benachbarten Großstädten Dresden und Leipzig Messen, in denen Kunst und Wissenschaft bedeutendere Traditionen aufweisen. Dennoch, oder gerade deshalb, scheint uns auch die Entwicklung der Fotografie in einer durch Industrialisierung geprägten Stadt wie Chemnitz darstellenswert.
Bei der Auswahl wurden nur historische Originalfotografien bzw. originales Negativmaterial berücksichtigt. Die teilweise Über- oder Unterrepräsentierung bestimmter Motivgruppen ergab sich aus dem zur Verfügung stehenden überlieferten Material und ist nicht beabsichtigt. So ließen sich beispielsweise Ansichten von Maschinen und Fabrikräumen aus den sechziger Jahren nicht auffinden, obwohl bereits zu dieser Zeit das Dokumentieren der wachsenden Industrie durchaus zum Arbeitsfeld des Fotografen gehörte. Während die Zeit des nassen Kollodiumverfahrens vorwiegend durch Architekturaufnahmen repräsentiert ist, fächert sich der Motivkreis mit Aufkommen der fotografischen Trockenplatte wesentlich auf. Die verbesserten technischen Möglichkeiten und die daraus resultierende größere Variabilität des Fotografen spiegeln sich auch in der Vielgestaltigkeit der Thematik wider. Nun sind es vor allem lokale Ereignisse, wie Jahrmärkte, Varietés, Umzüge und Einweihungsfeiern oder der technische Fortschritt in Form von Straßenbahn, Eisenbahn und Fesselballon, die den Fotografen beschäftigen. Daneben trifft man immer wieder auf den Handwerker und Kleinunternehmer, der in einer Fotografie nicht ohne Stolz seine Werkstatt, sein Geschäft verewigt sieht. Das gestiegene Repräsentationsbedürfnis des Bürgers in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts äußerte sich nicht zuletzt in einer Unzahl klischeehafter, künstlerisch verflachter Porträtfotos. Auch diese Aufnahmen zeigen, daß sich die Fotografie jener Zeit in erster Linie als ein bürgerliches Medium erwies. Überhaupt nicht Gegenstand des fotografischen Bildes war dagegen der Arbeiter in der Fabrik, seinem täglichen Umfeld. Erst nach 1910 finden sich Fotografien, die das Chemnitzer Proletariat bei seiner anstrengenden Tätigkeit zeigen. Diese Erscheinungen können jedoch nicht mehr Gegenstand unseres Betrachtungszeitraumes sein, dürften aber wertvollen Stoff für eine weitere, noch offenstehende Untersuchung liefern.
Jahrelange Erkundungen waren erforderlich, um das weithin verstreute Material aufzuspüren und auszuwerten. Allzuoft mußte allerdings festgestellt werden, daß der Zweite Weltkrieg und die Nachkriegswirren dazu beigetragen haben, Unwiederbringliches untergehen zu lassen. Bedauerlicherweise sind aber auch zahlreiche in Privathänden befindliche historische Fotografien infolge geringer Wertschätzung vernichtet worden.
Allen Personen und Institutionen, die diese Untersuchung förderten, besonders aber dem Direktor des Stadtarchivs Karl-Marx- Stadt, Herrn Dr. sc. Gert Richter, und den Mitarbeitern dieser Einrichtung, den Kollegen des Schloßberg-Museums Karl-Marx-Stadt und des Heimatmuseums Schloß Rochlitz sowie Frau Edith Stecher und Herrn Johannes Bellmann aus Karl-Marx-Stadt, die uns mit Bild- und Faktenmaterial hilfreich unterstützten, und nicht zuletzt Herrn Dr. Ernst Hofmann vom Institut für Museumswesen Berlin, der eine kritische Durchsicht des Manuskriptes besorgte, sei an dieser Stelle herzlich gedankt.
Karl-Marx-Stadt 1987